Der globale Energiemix durchläuft derzeit eine rasante Entwicklung als Reaktion auf mehrere Herausforderungen, denen er sich in den letzten Jahren stellen musste. Das Just-in-Time-Modell, das für den Energie- und Strommarkt adaptiert worden war, scheint sich nur unter günstigen wirtschaftlichen Bedingungen zu bewähren, und die politischen Märkte versuchen krampfhaft herauszufinden, wie sie in der neuen Ära mit der Nachfrage Schritt halten können, meint Kay Rieck, ein erfahrener Marktbeobachter und Investor.

Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat viele Auswirkungen, auch wenn noch unklar ist, wie es nach dem Einmarsch weitergeht. Für die Energiemärkte scheint es nicht übertrieben zu sagen, dass das Ergebnis der Aggression eine Beschleunigung der Entwicklung sein wird, die in den letzten zehn Jahren stattgefunden hat.

Lange Rede, kurzer Sinn: Während die meisten Menschen davon ausgingen, dass Öl und Gas im globalen Energiemix eine abnehmende Rolle spielen würden, hat der Einmarsch Russlands in die Ukraine dazu geführt, dass sich viele, vor allem im so genannten Westen, nach Alternativen umgesehen haben.

Zwar könnte man annehmen, dass diese neu entdeckte Dringlichkeit darauf zurückzuführen ist, dass die Menschen die potenziellen Umweltauswirkungen von Öl und Gas erkannt haben, doch in Wirklichkeit ist der Hauptgrund für den Wandel wie immer der Preis.

Eine kurze Geschichte von Just-in-Time

In den frühen achtziger Jahren begann sich in der Welt der Wirtschaft ein neues Paradigma zu entwickeln. Das so genannte Just-in-Time-Konzept war ein effizienter Ansatz für die Lagerhaltung, bei dem die voraussichtliche Nachfrage zu einem bestimmten Zeitpunkt ermittelt und sichergestellt wurde, dass sich die Hersteller darauf konzentrierten, genügend Bestände eines bestimmten Bauteils mit möglichst wenig Überschuss zu halten.

Die Automobilindustrie war eine der ersten, die dieses Konzept aufgriff und sich die sinkenden Handelsschranken und die immer einfacheren, oft automatisierten Bestellverfahren zunutze machte. Dies bedeutete, dass die Unternehmen der Branche Lagerhaltungskosten und verschiedene andere Kosten einsparen konnten, ohne dass die Verfügbarkeit beeinträchtigt wurde.

Das Konzept war außerordentlich erfolgreich, und obwohl die Automobilindustrie in den letzten vierzig Jahren mit einigen Herausforderungen zu kämpfen hatte, kann man schwerlich behaupten, dass diese auf Unterbrechungen in der Lieferkette zurückzuführen sind – natürlich vor dem Auftreten der Covid-19-Pandemie.

Vertrauen Sie dem Algorithmus

Der Grund für die Relevanz dieses Themas liegt darin, dass das Just-in-Time-Konzept so erfolgreich war, dass es sich auf viele andere Branchen ausbreitete, einschließlich der Energie- und Stromwirtschaft.

In vielerlei Hinsicht sollte dies kein Problem sein. Wir wissen, wann die Jahreszeiten wechseln und wann ungefähr die Zentralheizung eingeschaltet wird, und wir verfügen über immer ausgeklügeltere Algorithmen, die jede Nachfrageschwankung im normalen Verlauf ausgleichen können.

Das Problem ist, dass wir jetzt etwa drei Jahre vom normalen Verlauf der Ereignisse entfernt sind und sowohl Angebot als auch Nachfrage mehrere Herausforderungen sowie einige regelrechte seismische Schocks mit sich gebracht haben.

Da sind natürlich die Sanktionen, die gegen Russland nach dem Einmarsch in sein Nachbarland verhängt wurden und die mehrere Länder in eine schwierige Lage gebracht haben. Deutschland zum Beispiel hat sich in den letzten zehn Jahren zunehmend von russischem Gas abhängig gemacht, vor allem nach der Entscheidung, sowohl von der Kohle wegen ihrer Umweltauswirkungen als auch von der Kernenergie nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima in Japan im Jahr 2011 wegzukommen.

Auch Covid-19 spielte eine Rolle, da sich der Zyklus der Stromnachfrage im Laufe von zwei Jahren mit Sperrungen und eingeschränkten Reisemöglichkeiten völlig veränderte. Förderprojekte wurden auf Eis gelegt, Menschen verließen die Branche, und im letzten Jahr ist die Nachfrage wieder stark angestiegen.

Und schließlich ist da noch die zunehmend unbeständige Natur des Wetters selbst. Die Anwendung einer Just-in-Time-Strategie auf Ihre Energie- und Stromversorgung bedeutet, dass Sie wahrscheinlich weniger für Speicheranlagen ausgeben werden, weil Sie einfach nicht so viel Energie speichern müssen. Sie wird einfach dann geliefert, wenn sie gebraucht wird, genau zur richtigen Zeit. Das Problem ist, dass die Witterung sehr örtlich begrenzt sein kann, und da die Sommer immer heißer werden, laufen die Klimaanlagen länger, so dass früher im Sommer Reserven für den Winter angelegt wurden, was heute oft nicht mehr der Fall ist. Gleichzeitig ist die Nutzung der Zentralheizung aufgrund der unsicheren Winter unregelmäßiger.

Infolge dieser Komplikationen verfügt beispielsweise das Vereinigte Königreich derzeit über mehr verflüssigtes Erdgas, als es physisch handhaben kann, während Deutschland eine Möglichkeit braucht, um das Gas zu ersetzen, das es nicht mehr aus Russland erhält, aber keine Möglichkeit hat, es zu speichern. Es handelt sich wahrscheinlich um ein kurzfristiges Problem, das jedoch sowohl den Politikern als auch den Märkten Kopfzerbrechen bereitet.

Kurz und gut, es könnte sein, dass das Just-in-Time-Modell für längere Unterbrechungen nicht besonders geeignet ist.

Wie geht es jetzt weiter?

Eines der Hauptprobleme, die sich daraus ergeben, ist, dass wir nicht wissen, wie lange die Störung andauern wird und wie die Energie- und Strommärkte aussehen werden, wenn die Invasion zu Ende ist. Es könnte sein, dass sich die Invasion in die Länge zieht und Russland als Besatzungsmacht noch mehrere Jahre lang ein wirtschaftlicher und politischer Paria bleibt, so dass die Energieversorgung aus dieser Richtung weiterhin eine Herausforderung darstellen wird. Es könnte aber auch anders kommen, vielleicht mit einem Führungswechsel im Kreml, und wir kehren zu so etwas wie business as usual zurück.

Eine der größten Herausforderungen aus Sicht der Energie- und Stromwirtschaft besteht darin, dass die meisten Energie- und Stromerzeugungsprojekte lange Zeit in Anspruch nehmen, um geplant, entwickelt und in nennenswerten Mengen bereitgestellt zu werden. Selbst die Verbesserung von Speicher- oder Verarbeitungsanlagen kann beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen, und auch auf die Gefahr hin, dass es zu skurril klingt: Der Sommer dauert nicht ewig, und die Gesellschaften, insbesondere in Europa, werden in den nächsten vier Monaten in der einen oder anderen Form Zugang zu Strom benötigen, um ihre Häuser zu versorgen.

Die offensichtlichste kurzfristige Veränderung ist der steigende Anteil der auf dem Markt erhältlichen Elektrofahrzeuge (EVs), wobei der Anteil der EV-Verkäufe in Europa Ende 2021 etwa 10 % erreichen wird. Wenn man bedenkt, dass dies vor den durch Russlands Kriegshandlungen verursachten Veränderungen bei den Kraftstoffpreisen geschah, scheint es wahrscheinlich, dass der Anteil der EV-Verkäufe Ende 2022 wesentlich höher sein wird.

In vielerlei Hinsicht verlagert sich das Problem dadurch jedoch nur. Der Strom für die Batterien von Elektroautos muss immer noch irgendwie erzeugt werden, und in den meisten Fällen geschieht dies durch die Umwandlung von Erdgas und Erdöl in Energie. Es gibt zwar alle möglichen faszinierenden Projekte, um Straßen zu bauen, die Strom erzeugen, um Autos aufzuladen, während sie darüber fahren, aber realistisch betrachtet sind diese noch Jahrzehnte davon entfernt, einen sinnvollen Beitrag zur Deckung des Energiebedarfs einer Gesellschaft zu leisten.

Abgesehen von Autos kann Kohle zwar kurzfristig eine nützliche Energiequelle sein, doch gehört sie zweifellos zu den schmutzigsten Optionen, und die menschlichen Kosten der Kohleverbrennung in Form von Atemwegserkrankungen können erheblich sein, so dass sie wohl kaum eine realistische langfristige Option darstellt, es sei denn, die Gesellschaft ist absolut verzweifelt.

Die neue Generation von Kernkraftwerken, die kleiner, effizienter und damit sicherer sind als ihre Vorgänger, könnte ebenfalls eine Rolle spielen. In Ländern wie Deutschland, wo die Anti-Atomkraft-Lobby seit den 1970er Jahren sehr stark ist, wird sie umstritten sein, aber das Problem ist, dass wir, wenn wir eine funktionierende Wirtschaft wollen, die nicht aufgrund hoher Nachfrage und begrenztem Angebot unter braunen Flecken oder gar Stromausfällen leidet, einen Weg finden müssen, um beständig Strom zu erzeugen, der nicht von den Launen der Sonne oder des Windes abhängt. Kleine Nukleargeneratoren könnten ein Teil der Lösung sein.

Denn obwohl es in den letzten Jahren in der Welt der alternativen Energien bedeutende Fortschritte gegeben hat, ist es noch ein weiter Weg, bis man von einer dauerhaften Lösung für den ständig steigenden Energiebedarf der Gesellschaft sprechen kann. Die Batterietechnologie verbessert sich rasant, und grob geschätzt sind wir nur noch ein paar Jahre davon entfernt, dass jemand Photovoltaikzellen in ein Mobiltelefon einbaut, so dass sich unsere Telefone selbst aufladen können. Aber auch hier ist es noch ein weiter Weg, bis die Batterien gut genug sind, um eine konstante Versorgung sowohl für den geschäftlichen als auch den privaten Gebrauch zu bieten.

Wahrscheinlich wird sich in den nächsten Jahren ein echter globaler Energiemix herausbilden, bei dem Öl und Gas zwar noch eine Rolle spielen, ihre Bedeutung aber langsam abnimmt, da neue Technologien entwickelt werden, die sich als stabil und skalierbar zu einem wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Preis erweisen. Die jüngste Weltpolitik dürfte diesen Prozess beschleunigt haben.

Und was bedeutet das für die armen, verwirrten Öl- und Gashändler? Um ehrlich zu sein, hat der Algorithmus die meisten von ihnen schon vor vielen Jahren aus dem Weg geräumt…

Kay-Rieck

Über den Autor

Kay Rieck ist seit mehr als zwei Jahrzehnten als Investor im US Öl- und Gassektor tätig. Er war über viele Jahre als Finanzberater und Börsenmakler an der New Yorker Börse (NYSE) tätig.

Sein Interesse an der Öl- und Gasbranche und den damit verbundenen Assets entwickelte er schnell und baute seine Expertise im Investmentbanking und der Vermögensverwaltung beim New York Board of Trade und dem Chicago Board of Trade aus.

Unter Nutzung seines außergewöhnlichen Netzwerks an globalen Kontakten gründete er 2008 sein erstes Öl- und Gasförderunternehmen in den USA und wählte Investitionen unter anderem im Haynesville Shale, Permian-Becken, Eagle Ford Shale, Dimmit County und überall dort aus, wo sich außergewöhnliche Renditeaussichten boten und bieten.

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